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Auf der Haut

Zum 50 Jahre Jubiläum führen die Chöre der St.Galler Singschule das Auftragswerk «Auf der Haut» auf.

Das Werk entsteht in Zusammenarbeit mit jungen Ostschweizer Künstler*innen: Die Autorin Laura Vogt verfasst das Libretto, das Komponist*innenkollektiv bestehend aus Janos Mijnssen, Xenia Wiener und Moritz Widrig vertont die Texte. Den Künstler*innen gewährt die Singschule ein hohes Mass an kreativer Freiheit in der Umsetzung des Themas. Folgende Überlegungen und Bezüge haben uns zum Thema «Textil» inspiriert:

Die Stadt St. Gallen und die Ostschweiz sind historisch eng mit der Textilindustrie verknüpft. Erinnerungen an die Blütezeit der St.Galler Stickerei finden sich in der städtischen Architektur genauso wie im kollektiven Gedächtnis der Ostschweiz. St.Galler Stickereien begleiten die Chöre der St.Galler Singschule seit mehreren Jahren: Die Frauenstimmen treten seit 2013 bei ihren Konzerten in Oberteilen mit Stickereien von Bischoff Textil auf, der Konzertchor trägt seit 2015 anlässlich des Europa Cantat Festivals in Pécs ebenfalls Stickereielemente zu seinem Konzerttenue.

Über die lokale Bedeutung hinaus, beschäftigt und fasziniert das Thema «Textil» auf unterschiedlichen Ebenen:

Jeden Tag legen wir sie an, unsere Kleider. Wir schützen uns vor Kälte und vor Blicken. Wie sehr variiert zwar, je nachdem wo und in welcher Situation wir uns befinden, aber nur sehr selten verzichten wir darauf uns zu bedecken. So gewohnt sind wir es, Kleidung zu tragen, dass sie fast schon so etwas wie eine zweite Haut für uns geworden ist. Indem wir Textilien auf der Hauttragen, gestalten wir stets auch uns selbst. Wir zeigen wer wir sind oder wer wir gerne wären.

Über Stoff auf unserer Haut verständigen wir uns und klären gesellschaftliche Rollen. Kleider machen Leute. Zugleich schreibt sich Geschichte ein in diese Kleider. So wie an Falten und Narben in unserer Haut lässt sich an ihnen Erlebtes und Erfahrenes ablesen. Textilien werden zum Stoff von Geschichten und Stoffe erzählen Geschichte. An ihnen lassen sich historische, politische Zusammenhänge ebenso ablesen, wie die individuellen und persönlichen Geschichten, die uns auf den Leib, in den Stoff auf unserer Hautgeschrieben worden sind.

Trotz diversen historischen Bezügen entsteht ein zeitloses Werk, in dem das Thema «Textil» in seinem Facettenreichtum beleuchtet wird. Es soll eine Mischung aus musikalischem und lyrischem Werk werden. Herzstück sind die fünf «Perlen»: Die fünf A cappella Stücke können aus dem Gesamtwerk ausgekoppelt werden und fliessen langfristig ins Repertoire der Chöre ein.

Die Komposition «Auf der Haut» inspiriert zu Konzerten an aussergewöhnlichen Orten und Teilaufführungen der «Perlen» in Museen oder in Räumlichkeiten der Textilindustrie.

Vera Blaser, Thomas Staroszynski

ZWANZIG STICH

Es ist ein Uhr
und die Jüngste
schläft beim Fädeltisch.

Die Maschine
vier Meter breit
so wie der Raum.

Rosina streicht
sich abermals
über die Lider.

Und der Faden
noch ungebleicht
wird immer kürzer.

Die Löcher
im Allover
sind das Teuerste.

Die Löcher
sind das Teuerste
die Jüngste schläft.

Sie trägt
in meinem Kopf
ein weisses Kleid.

Jedes Loch
braucht zwanzig Stich
eine Nadel bricht.

Rosinas Bauch
ist wieder rund
die Lider müd'.

Schon steht sie auf
und fädelt neu
den einen Faden.

Laura Vogt,
Text zur 5. Perle in«Auf der Haut»